Bücherecke

In der Bücherecke veröffentlichen wir regelmäßig Kurzrezensionen zu ausgewählten Neuerscheinungen.

Unsere Ansprechpartnerin für Literatur ist Franziska Khan.
Kontakt: franziska.khan@diekleinendenker.de

Bildergebnis für was macht die nacht

Dirk Gieselmann: Was macht die Nacht?
mit Illustrationen von Stella Dreis
Aladin Verlag, Stuttgart 2023, 40 Seiten
ab 6 Jahren

Ein Junge kann nicht einschlafen. Darum bittet er seinen Vater, ihm von der Nacht zu erzählen, davon, was in dieser so alles passiert. So lautet die einfach gehaltene Rahmengeschichte des neuen Bilderbuches Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis.
Umso erstaunlicher ist die Kraft, die dieses Buch entfaltet, um seine Leserschaft ins Reich der Fantasie zu entführen. Seite um Seite eröffnet Was macht die Nacht? uns einen poetisch-fantastischen Blick auf raffinierte Miniaturen in Wort und Bild. Gieselmann reiht ein wundersames Sprachbild assoziativ an das nächste. Jedes einzelne lädt zum Verweilen ein und setzt Gedankenketten in Gang und nur an wenigen Stellen geht Gieselmann auf vorangegangene Sprachbilder ein, um sie weiter zu spinnen.
Nicht minder fantasievoll sind die Illustrationen. Sie greifen einzelne Sprachbilder auf einer Doppelseite auf. Um 1 Uhr nachts zum Beispiel kettet die Kellnerin die Stühle fest, damit sie nicht davonlaufen. Zu sehen sind dann gezeichnete Stühle, wie sie aus einem Fenster in den Nachthimmel aus verschiedenen Grautönen hinaus schweben.
In der pädagogischen Praxis können Kinder zum Illustrieren der Sprachbilder oder, von diesen ausgehend, zum Schreiben von Kurzgeschichten eingeladen werden.
F. Khan

Heinz Janisch: Schneelöwe
mit Illustrationen von Michael Roher
Tyrolia Verlag, Wien 2022, 32 Seiten
ab 4 Jahren

„Habt ihr vielleicht eine leise Idee, welches Tier in euch schlummert und geweckt werden will?“ Mit dieser Frage weiht der Ich-Erzähler dieses höchst fantasievollen Bilderbuches den Leser in ein Geheimnis ein. Danach sind Menschen zwar von außen als Individuen zu erkennen – als Kinder und Erwachsene verkleidet –, doch ihr wahrer Kern entspricht dem eines Tieres. Der Erzähler selbst ist äußerlich ein Junge, in Wahrheit aber ein weißer Schneelöwe, im Gegensatz zu seinem Cousin Walter, der sich immer als schwarzer Schneelöwe vorstellt. Und das nur, weil er ein paar winzige schwarze Flecken auf dem linken Ohr hat…
Der Schneelöwe erkennt sie alle. Doch lässt er den Leser wissen, dass er Geheimnisse bewahren könne, denn träfe man sich auf der Straße, müsste man sich keine Sorgen machen, dass er sie oder ihn verraten würde.
Michael Roher erweckt mit seinen fast ausschließlich mit Kugelschreiber gezeichneten Illustrationen die Tiere der Geschichte zum Leben und verleiht dem Text von Heinz Janisch eine faszinierende, dichte Atmosphäre. Mit seinen detailreichen Zeichnungen bringt er die Tiere in den Figuren zum Vorschein, wenn Menschen Schatten in Form von Tieren haben oder diese sich in ihren Silhoutten zeigen. Eindrucksvoll offenbart Roher so das Verborgene hinter der Oberfläche, was dem Leser in seiner Lebenswirklichkeit verschlossen zu bleiben scheint.
Text und Illustrationen schärfen den Blick und laden zum magischen Denken ein. Dabei wirft das Bilderbuch spielerisch die spannende philosophische Frage auf, was die Seele des Menschen ausmacht, oder welches Tier in uns selbst wohnen könnte.
F. Khan

David Grossman: Opa, warum hast du Falten?
mit Illustrationen von Ninamasina, aus dem Hebräischen übersetzt von Anne Birkenhauer
Carl Hanser Verlag, München 2023, 40 Seiten
ab 4 Jahren

Jotam geht mit seinem Großvater ins Gespräch. Er hat die Falten in dessen Gesicht entdeckt und möchte wissen, woher sie kommen, wie sie sich anfühlen, für Opa Amnon und für Jotam, der sie vorsichtig betasten und untersuchen darf. Was Jotam dabei entdeckt, ist erstaunlich. Denn „die tiefen Falten auf der Stirn sehen aus wie die Wellen im Meer“, die Falte auf dem Kinn „wie Papayas Schwanz“ (Papaya war ein Hund). Schließlich gibt es noch eine große Falte auf Opas Wange, die unmittelbar mit Jotams Geburt zusammenhängt….
Jede Falte hat ihre Geschichte. Und so greift David Grossmans kurzes Bändchen auf zärtliche Weise auf, wie Erfahrungen den Menschen im Lauf seines Lebens prägen. Die überwiegend in Blautönen gehalten Aquarelle von Ninamasina setzen Erinnerungen ins Bild (Papaya in einer Träne), die Szenerie des Gesprächssettings (der Blick auf den Teller, Opas Gesicht), aber auch Metaphern, bspw. für den Verlauf der Zeit (ein Blatt, das vom Baum fällt, für den Moment, wenn im Leben „die Zeit gekommen ist“). Dieses offene Prinzip irritiert positiv, die Illustrationen interpretieren das Erzählte, auch wenn die Bilder immer wieder zu den beiden Protagonisten zurückkehren, die miteinander in Avivas Café sitzen.
Ein Buch über das Altern, das zum Philosophieren und Weitermalen einlädt – anschließend an Jotam, der schließlich mit Filzstiften und Papier seine aufregenden Entdeckungen dokumentiert.
E. Stollreiter

Prinz, Alois: Franz von Assisi – Tierschützer, Minimalist und Friedensstifter
Thienemann-Esslinger Verlag (Gabriel) , Stuttgart 2023, 272 Seiten.
Ab 12 Jahre.

In seinem aktuellen Jugendbuch zeichnet Alois Prinz den ungewöhnlichen Lebensweg eines der wichtigsten Kirchenväter des Mittelalters nach. Ihm ist dabei ein einfühlsames und gehaltvolles, aber auch philosophisch interessantes Portrait von Franz von Assisi und seinem Wirken bis in die Gegenwart hinein gelungen.
Prinz erläutert, in welcher Weise Franziskus sich noch heute als Vorbild zum Umwelt- und Tierschützer anbietet und warum seine Gedanken zur christlichen Lehre eine unkonventionelle Inspirationsquelle sein können. Dies tut er auch anhand einprägsamer Anekdoten aus dessen Leben. Franziskus stellte seine Zeitgenossen danach nicht durch lange Reden vor religiöse Kernfragen, sondern beeindruckte mit seinen Handlungen. Er kritisierte die Institution Kirche mit ihren prunkvollen Kirchenhäusern und einem Klerus, der sich weit entfernt hatte von einem asketischen Leben, scharf. Die Idee der Hierarchie lehnte er ab. Selten war ein Christ anarchistischer als Franz von Assisi.
Im Anschluss an die Lektüre ließen sich mit Schülern der Sek. I und II verschiedene Fragen weiterführend erörtern: Wie viele Besitztümer braucht es, um glücklich zu sein? Wie kann ein Leben gelingen, das kompromisslos im Einklang mit anderen bzw. der Umwelt funktioniert? Wie lässt sich aufrichtige Toleranz gegenüber anderen Ansichten und Religionen dauerhaft leben?
F. Khan

Heijnis, Brenda : Skaterherz
Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann,
Mixtvision Verlag, München 2023, 139 Seiten
Ab 12 Jahre

Ein Kind stirbt bei einem Unfall – ein anderes erhält eine Perspektive auf Leben, nachdem ihm das Herz des ersten Jungen transplantiert wurde. Brenda Heijnis mutet den Leser*innen ihres mehrperspektivischen Romans Skaterherz beide Momente zu. Boyd, der „Skater“ und Organspender, und der 13-jährige Elias, Empfänger des Spenderherzens, erleben und erzählen den Vorgang dabei nicht nur Kapitel für Kapitel aus ihrer jeweiligen Perspektive. Sie lernen einander auch kennen. Denn Boyd ist Elias nach der Transplantation unfreiwillig verbunden, er hängt an ihm wie an einem „unsichtbaren Gummiband“ und wird als Geist nur von Elias gesehen und gehört.
Skaterherz erzählt auf packende Weise, wie die beiden Jungen mit dieser komplizierten Situation umgehen und welchen (Aus-)Weg sie gemeinsam finden. Damit bietet das Buch überraschende Anknüpfungspunkte zum Philosophieren über ein medizinethisch schwieriges Thema wie das der Organtransplantation für Jugendliche ab der Sekundarstufe I sowie über die Fragen danach, was nach dem Tod kommt, oder wie Körper und Geist miteinander verbunden sein mögen.
E. Stollreiter

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Archiv

Rezension aus dem Monat Dezember 2018 (Franziska Khan):
Jörg Mühle: Zwei für mich, einer für Dich
Jörg Mühle_Zwei für mich, einer für dich_2018-12

Rezension aus dem Monat August 2018 (Franziska Khan):
T. Engelhardt, M. Osberghaus / S. Hesselbarth (Ill.): Im Gefängnis
Rezension Im Gefängnis_Engelhardt Osberghaus_August 2018

Rezension aus dem Monat Oktober 2017 (Franziska Khan):
Helga Bansch: Achtung Ziesel
Antje Damm: Plötzlich war Lysander da
Rezension_Bansch-Achtung Ziesel_Damm-Plötzlich war Lysander da_Oktober 2017

Rezension aus dem Monat Januar 2017 (Eva Stollreiter):
Michael Roher: Der Fluss
Rezension_Michael Roher_Der Fluss_Januar 2017

Rezension aus dem Monat August 2016
Anja Tuckermann / Tine Schultz (Ill.): Alle da!
Rezension_Alle da_Tuckermann_Schultz 2016

Rezension aus dem Monat April 2016
Toon Tellegen / Ingrid Godon (Ill.): Ich denke
Rezension_Ich denke_Godon Tellegen_März April 2016

Rezension aus dem Monat November 2015 (Jana Nopper)
María Julia Díaz Garrido: Als die Vögel vergaßen, Vögel zu sein
Díaz-Garrido_Álvarez-Hernández_Als die Vögel vergaßen …

Rezension aus dem Monat September 2015
Heinz Janisch: Wo kann ich das Glück suchen
Janisch_Wo kann ich das Glück suchen

Rezension aus dem Monat Juli 2015
Benjamin Alire Sáenz: Dante und Aristoteles …
Saenz_Aristoteles und Dante 

Rezension aus dem Monat Mai 2015
Davide Calì: Mein Vater, der Pirat
Cali_Mein-Vater-der-Pirat

Rezension aus dem Monat März 2015
Antje Damm: Echt wahr?
Patrick George: Eins, zwei, drei … Zahlen
Damm-Echt wahr?_George-Zahlen

Rezension aus dem Monat Januar 2015
Kristina Calvert, Eva Muggenthaler: Lügen Ameisen eigentlich?
Calvert-Muggenthaler_Lügen Ameisen eigentlich?